Von Gaby Westerkamp

Cloppenburg

Die Anwohner in der Braker Straße haben Angst, dass „Investoren und Bauträger in gewachsenen Lagen wildern” und die Atmosphäre in ihrem seit Jahrzehnten harmonisierten Viertel zerstören. Und wehren sich gegen den großformatigen Neubau, der hier in der Nachbarschaft aus Ein- und Zweifamilienhäusern nahe der Soeste entstehen soll.

So ganz genau wissen sie allerdings gar nicht, was da hinten in der Stichstraße, direkt am Wendehammer, entstehen soll. Unsere Redaktion hat sich deshalb die Situation mal vor Ort selbst angeschaut und während der Bagger mit den Erdarbeiten für den Neubau begann, trafen wir dort zufällig sowohl den Bauleiter Gerd Bley als auch mehrere Nachbarinnen:  Eine gute Gelegenheit, sich mal rundum schlau zu fragen. Und bei der Stadtverwaltung dann auch noch. Das hat das Bild des Ganzen deutlich schärfer gezeichnet.

Mitte letzter Woche war schon ein großer Bagger auf der Baustelle im Einsatz. Sollten die Anwohner juristisch gegen die Baugenehmigung vorgehen, hätte dies keine aufschiebende Wirkung. Der Investor darf den Bau fortsetzen, allerdings bis zur endgültigen Klärung auf eigenes Risiko. Denn im Verfahren würde die erteilte Baugenehmigung noch einmal überprüft.

Klar ist: Dort, wo früher ein übliches Eigenheim stand, kommt jetzt etwas Großes hin. Genauer gesagt vier Gebäude, allerdings nicht höher als die umgebenden Häuser, erklärte der Bauleiter, eher ein oder eineinhalb Meter niedriger. Jedes der vier Objekte umfasst zwei Vollgeschosse und hat ein eingerücktes, ausgebautes Mansardendach. Insgesamt entstehen so 20 Wohnungen, die zwischen 60 und 65 Quadratmeter groß sein werden – klassische Single-Appartments, vielleicht auch interessant für junge Paare oder für Senioren. Für ihre Autos wird eine Tiefgarage mit 20 oder 22 Stellplätzen gebaut. Oberirdisch sind zehn weitere Stellplätze geplant. Im Untergrund entsteht zudem ein Regenrückhaltesystem, das bei starken Niederschlägen Straßenüberflutungen verhindern soll.

„Das haben wir alles nicht gewusst”, wunderten sich zwei Frauen aus der Nachbarschaft. Und das scheint ein wesentlicher Aspekt zu sein: Die Anwohner fühlen sich übergangen und kritisieren eine mangelnde Information durch die Stadtverwaltung. Und sie fremdeln mit auf einmal so vielen neuen Menschen aus 20 Haushalten direkt vor der Haustür und rechnen vor allem mit viel mehr Verkehr in der bislang ruhigen Straße. Dabei denken sie wohl auch weiter voraus: Was passiert, wenn künftig weitere Eigenheimbesitzer gehen und ihre Grundstücke hochpreisig an Immobilien-Investoren verkaufen, die dann auch dort „verdichten”? „Maßvoll” hätten sie damit kein Problem, schreiben die Anwohner in ihrem Antrag, meinen damit aber wohl etwas anderes als die Stadt, die 2015 ein detailliertes Verdichtungskonzept für Cloppenburg beschlossen hat. Und das erlaubt an der Braker Straße formal genau das, was dort gerade entsteht.

Unsere Redaktion hat einige Aspekte und Aussagen
des Konfliktes aufgegriffen und nachrecherchiert:

Gültige Pläne und Konzepte

Beteiligung der Nachbarn

Mehr Verkehr auf der Straße

Der gültige Bebauungsplan Nr. 27 aus dem Jahr 1985 begrenzt die Firsthöhe der Häuser auf 10,50 Meter. Die Grundflächenzahl 04 bedeutet, dass der Investor auf dem 1600 Quadratmeter großen Grundstück maximal 640 Quadratmeter Fläche bebauen darf. Über die Zahl der Gebäude pro Grundstück gibt es keine Festlegung.

Zudem greift das 2015 beschlossene Verdichtungskonzept der Stadt Cloppenburg. In zentrumsnaher Lage der Stufe 2 sind grundsätzlich bis zu vier Wohneinheiten pro Einzelhaus erlaubt. Eine fünfte Wohneinheit im ausgebauten Dachgeschoss ist möglich, wenn dieses eingerückte Staffelgeschoss mindestens 1,5 Metern Abstand zu den Außenmauern der darunter liegenden Geschosse einhält. Das Dach soll beidseitig geneigt sein, also kein Blockbau mit Flachdach. Die Traufhöhe (untere Tropfkante des Daches), darf höchstens sechs Meter hoch sein. All diese Vorgaben scheinen bei dem aktuellen Bauvorhaben erfüllt.

Bei dem Neubau an der Braker Straße liegt offenbar keine Abweichung von den rechtsgültigen Planungsvorgaben vor, die laut Niedersächsischer Bauordnung eine offizielle Beteiligung der Nachbarn erfordert hätte. So erklärte es Stadtrat Wigbert Grotjan auf unsere Nachfrage. Unsere Redaktion hat auch selbst in den Gesetzestext geschaut: Nach §68 der NbauO „dürfen” Nachbarn, deren Belange durch eine Baumaßnahme berührt sein könnten, die Bauvorlagen im Rathaus einsehen. Dass sie gefragt werden „müssen”, steht dort nicht.

Laut Grotjan sind die unmittelbar angrenzenden Nachbarn „erst nach Erteilung der Baugenehmigung an die Stadt herangetreten” und haben sich die Pläne angeschaut. Dabei hätten sie keinen Widerspruch eingelegt. Im Gegensatz dazu sagt die Anwohnerschaft, ein Ehepaar aus der Nachbarschaft hätte bereits Ende 2019 im Rathaus vorgefühlt, die Anfrage sei aber untergegangen. Beide Aussagen kommen aus zweiter oder dritter Hand, denn weder Grotjan noch der Sprecher der Nachbarn waren bei dem Termin dabei. Und weder für die eine, noch für die andere Aussage gibt es schriftliche Belege.

„Bisher konnten wir unsere Kinder hier auf der Straße spielen lassen, das geht dann nicht mehr”, klagte eine Anwohnerin im Gespräch mit unserer Redakteurin. Und klar: Dass es mit 20 Haushalten zu mehr Verkehr auf der Straße kommen wird, ist absehbar. Aber wahr ist auch: Die Braker Straße war und ist eine ganz normale Siedlungsstraße, also keine besonders verkehrsberuhigte Zone oder eine Spielstraße. Es handelt sich also um öffentlichen Straßenraum, der für den Autoverkehr nutzbar ist. Wenn die Straßenränder nicht zugeparkt werden, dürften Müllwagen, Feuerwehr und Rettungsdienste gut durchkommen. Darauf sollten aber alle Anlieger achten.

Sperre wie im Inselviertel

Die Nachbarschaft hat in einem von rund 50 unterzeichneten Anwohnern unterzeichneten Antrag an die Stadt eine sofortige Veränderungssperre wie im Inselviertel gefordert, um das Bauvorhaben aufzuhalten. Aber: Selbst wenn der Stadtrat so eine Sperre beschließt, würde sie diesen Neubau gar nicht betreffen. Da der Investor bereits eine baurechtliche Genehmigung hat, dürfte er trotz Sperre für das Gebiet weiterbauen. Genauso ist es auch im Inselviertel.

Die Natur drumrum

Die „schützenswerte Soesteniederung”, um die die Nachbarn in ihrem Antrag fürchten, wird durch den Neubau wohl nicht zerstört. Die neuen Häuser entstehen auf dem zuvor bereits bebauten Grundstück, auf dem allerdings vorher ein kleineres Objekt stand. Die Umgrünung des Grundstückes bleibe erhalten, betonte Bauleiter Gerd Bley gegenüber unserer Zeitung. Tatsächlich sind die Markierungspfosten auf der Baustelle auch entsprechend gesetzt. Der alte hohe Baumbestand in der Sichtachse zwischen Siedlung und Soeste steht außerhalb des Bauplatzes. Gleiches gilt für den kleinen Fußweg, der den Wendehammer mit dem Naherholungsbereich an den Mühlenteichen verbindet. Dieser werde entlang des Grundstücks, so Bauleiter Gerd Bley, sogar noch „erneuert und aufgewertet”. Und soll passierbar bleiben für alle.

Wie geht es jetzt weiter? Die Anwohner überlegen wohl, rechtliche Schritte anzustreben. Ob sie das nach anwaltlicher Beratung durchziehen werden, ist noch offen. Was tatsächlich beim Besuch der Anwohnervertreter im Rathaus besprochen wurde, kann auch frühestens am 18. August geklärt werden; dann ist der Planungsamtsleiter wieder im Büro.