Gebannt hörten die rund 70 Gäste in der Ratsklause Tomas Cramer zu, als er aus seinem „Frostland” vorlas. Dabei war die anfänglich leichte Nervosität ganz schnell verflogen und der Autor ganz „drin” in seinem Norderney-Krimi. Fotos: Westerkamp

Von Gaby Westerkamp

Lindern
Im mintgrünen Bademantel schleppt sich der verbeulte Patient auf das verschneite Dach des Norderneyer Krankenhauses. Denn hier hortet die Klinik ihr Archiv. Und das interessiert Frank Gerdes brennend. Das Schloss ist schnell geknackt – wie genau, das lassen wir hier mal weg – und in den alten Patientenakten entdeckt der Privatdetektiv dann auch bald wertvolle Informationen für seinen aktuellen Fall, bevor er es über die Feuerleiter und durch ein flirtendes Vier-Damen-Zimmer gerade noch rechtzeitig vor dem Kontrollgang der Stationsschwester wieder zurück in sein Bett schafft.

Eine von fünf Szenen aus dem Krimi „Frostland“, die Autor Tomas Cramer den rund 70 Gästen in der Linderner Ratsklause vorlas – mitreißend, humorig und mit leisem Spott. Aber auch mal nachdenklich, beobachtend, fröstelnd. In den anderen Ausschnitten erlebten die Zuhörer zwei Morde, trafen tiefostfriesische Zeugen (Milieustudie inklusive), waren mit Gerdes nächtens im verlassenen Hotel Nordstern auf Spurensuche, ließen sich mit ihm in den Dünen von Drogen-Gangstern erwischen und widerstanden mit ihm den trunkenen Avancen seiner Jugendliebe auf dem Sofa. Während der Gatte um die Ecke bog, übrigens.

Ganz schön viel Stoff, den Cramer in seiner Lesung schon preisgab? Könnte man meinen. Aber tatsächlich waren die Textfenster so geschickt gewählt, dass sie zwar eindrucksvolle Beispiele seiner Erzählkunst lieferten – und doch nichts über die tatsächlichen Zusammenhänge der Geschichte verrieten. Dafür müssen die Gäste dann doch das Buch selbst lesen.

Der Kunst- und Kulturverein Lindern hatte die Lesung mit dem aus Cloppenburg stammenden Krimi-Schreiber organisiert – und noch Einiges drumherum. Wie schon bei der Vorstellung von Cramers Erstlingswerk „Novemberblut” war wieder Kalle Kamlage mit seiner „Käpt’n Chaos-Band”  dabei. Der Ex-Frontmann von „Kennzeichen D” – wahrlich kein Schmusesänger fürs Untermalende – haute von „Mackie Messer” über eigene 80er-Jahre-Kulthits bis zu aktuellen markant getexteten Songs musikalisch so richtig dazwischen. Und das kam gut an beim Publikum, das gleich mehrere Zugaben forderte.


Unsere Buch-Rezension zu „Frostland” finden Sie ebenfalls auf dieser Webseite. Klicken Sie einfach auf das Cover.

Man war ja zwischenzeitlich auch frisch gestärkt dafür, denn in der Pause gab es leckere Fischbrötchen und einen stilechten „Küstennebel” dazu. War zumindest im Angebot, auch wenn sich nicht alle an den zündenden Anisschnaps heranwagten. Ein Glas Wein stand ja auch mit auf der Verzehrkarte und war im Preis inbegriffen.

Ein echt „bunter” Abend also, den die Linderner Kulturveranstalter da auf die Beine gestellt haben. Und die Gäste wünschten sich „gerne mehr davon”. Das gilt auch für neue Fälle von Privatschnüffler Gerdes, aber da müssen sich die Fans noch gedulden: „Das dauert noch drei bis vier Jahre”, meinte Tomas Cramer, der sich als Hobbyschreiber die Zeit lassen will, neue Geschichten in aller Ruhe zu entwickeln, bis jedes Detail stimmt – wie bei „Frostland”. Aber eines steht schon fest: Der herzhaft unperfekte Schlaufuchs ermittelt wieder auf Norderney…